Das Buch des Lappen Johan Turi

«Ich bin ein Lappe, der sich mit aller Lappenarbeit abgegeben hat, und ich kenne alle Verhältnisse der Lappen. […] Ich habe gedacht, dass es das beste sein würde, wenn da so ein Buch wäre, worin alles von dem Leben und den Verhältnissen der Lappen aufgeschrieben wäre, so dass man nicht zu fragen brauchte: wie sind die Verhältnisse der Lappen.»

Ab dem 16. Jahrhundert wurde die ursprünglich grenzenlose Weite Lapplands unter den nordischen Grossmächten aufgeteilt und mehr und mehr von finnischen, russischen, schwedischen und norwegischen Grenzen durchzogen. Die damit einhergehende Diskriminierung der Samen wurde seit Ende des 19. bis weit ins 20. Jahrhundert mit der sozialdarwinistisch begründeten vermeintlichen Minderwertigkeit der «Samenrasse» rechtfertigt.

In dieser Zeit und vor diesem Hintergrund ist das «Buch des Lappen Johan Turi» entstanden. Turi (1854-1936) hat die Verfolgung und Vertreibung seines Volkes aus den angestammten Jagd- und Weidegründen im hohen Norden sehr bewusst miterlebt, obwohl er als Wolfsjäger am Ufer des Sees Torneträsk sesshaft geworden war und nicht mehr als Rentiernomade lebte.

Turi hatte das Buch bereits seit Jahren im Kopf, als er 1904 die dänische Künstlerin Emilie Demant-Hatt hoch im Norden im Zug zwischen der schwedisch-norwegischen Grenze und dem Torneträsk traf. Die Begegnung hatte für beide weitreichende Konsequenzen. Demant-Hatt begann an der Universität von Kopenhagen Samisch zu studieren. Drei Jahre später kehrte sie zurück zum Torneträsk und konnte dank der Vermittlung von Turi ein Jahr mit der Nomadenfamilie seines Bruders leben und ihre jährliche Wanderung mit den Rentierherden über die Berge hinunter in die Fjorde Norwegens mitmachen. Im Anschluss unterstützte sie Turi im Gegenzug bei der Niederschrift seines Buches, übersetzte und kommentierte es und sorgte letztlich dafür, dass es 1910 in einer zweisprachigen Ausgabe (samisch-dänisch) gedruckt wurde. Die deutsche Erstausgabe erschien 1912 bei Rütten & Löning. Die Übersetzung erfolgte durch Mathilde Mann, eine Frauenrechtlerin aus der Lübecker Kaufmanns- und Schriftsteller-Dynastie.

Dabei handelt es sich nicht um eine Autobiographie, sondern um die Darstellung der Lebenswelt der Jäger und Nomaden: ihre Überlebenstechniken, ihre Medizin, ihr Naturverständnis, ihren Glauben, ihre Geschichte, ihre Sagen, Gebete und Lieder. Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn ihr Überleben von der Symbiose mit einem Tier, dem Ren, abhängt? Wie manifestiert sich die Bedrohung dieser archaischen Lebensform durch die moderne Zivilisation der skandinavischen Nachbarn, die die Lappen wie «streunende Hunde» behandeln?

Das Buch mit den Erzählungen vom Leben der Lappen erschien in einer Zeit, als der 1. Weltkrieg den Glauben an den Fortschritt erschütterte. Die Rückbesinnung auf das Natürliche, Einfache und Ursprüngliche wurde Mode und so trug der Geist der Lebensreform zum Erfolg von Johan Turis Buch bei. Es gilt heute als Klassiker und erster Beitrag der Sami zur Weltliteratur.

Demant Emilie (Hrsg.): Das Buch des Lappen Johan Turi. Erzählung von dem Leben der Lappen. Rütten und Loening: Frankfurt am Main, 1912. Signatur G 4738.

 

Mirjam Schreiber

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