«Was man auch von Texas sagen mag, es ist das Paradies von Nord-Amerika – das Italien der Vereinigten Staaten.»

«Wir glauben, der Mensch sei von Natur aus gut, und das Böse, das ihm anklebe, sei eine Frucht der be­stehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Wir glau­ben, diese uns überlieferte Gesellschaftsform sei kor­rumpiert, und der Mensch werde nicht besser, nicht glücklicher, bis er sich eine soziale Einrichtung ge­schaffen, in der er alle seine angeborenen Fähigkei­ten und Triebe regen und frei entwickeln könne. Wir […] bekennen uns zur sozietären oder phalansteria­nen Schule; Fourier ist unser grosser Meister. […] [Wir wollen] in dem noch unbewohnten Hochlande von Texas, einem der gesundesten, herrlichsten Ge­biete Amerika’s, einen praktischen Versuch […] ma­chen […]. Hier soll ein freies Feld geöffnet sein, wo anfangs jede Familie oder kleine Gesellschaft für sich wirtschaften kann. Später mag es dem Einzelnen frei stehen, an den zu grün­denden sozietären Mustergemeinden, Phalanxen genannt, Theil zu nehmen.»

So steht es im Vorwort von «Auswanderung nach Hoch-Texas: I. Theil: Be­schreibung des Landes am obern Trinity-Fluss.» Verfasser sind die Übersetzer der 1855 erschienenen Schrift von Victor Considerant, Karl Bürkli, Gerber und Kaspar Bär, Lehrer. Auch andere sozialistische Strömungen, so schreiben sie weiter, sollen an dem Experiment teilhaben können und die Gelegenheit erhal­ten, ihre Theorien dem Praxistest auszusetzen. Sie berichten weiter über die Gründung einer «Europäisch-Amerikanischen Kolonisations-Gesellschaft», die eine Landkonzession erworben habe und bereits aktiv sei, damit «eine einiger­massen wohnlich gemachte Heimat da ist, wenn der erste regelmässige Aus­wanderungstrupp im Herbst 1855 daselbst anlangt».

Karl Bürkli, Frühsozialist und Anhänger des Gesellschaftstheoretikers Charles Fourier, reist im selben Jahr selbst, zusammen mit rund 30 Zürcher Gefährten, nach Texas. Ziel: die Kommune La Réunion in der Nähe von Dallas, wo das Experiment Wirklichkeit und eine genossenschaftliche, direktdemokratische Gemeinschaft aufgebaut werden soll. Bereits siedeln dort über 100 Fourieristen aus Frankreich und Belgien.

Als die zukünftigen Genossenschafter nach einer mehrmonatigen, beschwerli­chen Reise, gekrönt von einem 24-tägigen Fussmarsch, in La Réunion ankom­men, ist die Ernüchterung gross. Das Land ist weniger fruchtbar als erwartet, das Klima rauer und die lokale Bevölkerung wenig begeistert von den sozialis­tischen Neuzuzügern: «Was wir hier nicht brauchen können, sind Fremde, die uns in allem fremd sind.»[1] Zudem fehlt den Siedlern die nötige landwirtschaftli­che Expertise. Viele sind zwar Handwerker; Bauern sind aber kaum darunter. Die Kommune bröckelt. Schon einen Monat nach ihrer Ankunft verlassen die ersten Zürcher La Réunion, 1856 geht als letzter Schweizer auch Karl Bürkli, und 1857 löst sich die Gemeinschaft auf. Der Praxistest ist gescheitert.

Die «Statuten der europäisch-amerikanischen Colonisations-Gesellschaft in Texas», ebenso wie das zweiteilige Werk «Auswanderung nach Hoch-Texas», finden sich im Bestand der Museumsgesellschaft, deren Mitglied Karl Bürkli vor und nach seinem texanischen Abenteuer war.

 

Mirjam Schreiber

 

Statuten der europäisch-amerikanischen Colonisations-Gesellschaft in Texas. Aus dem Französischen übersetzt von der Schweizer-Phalanx in Zürich;

Considerant, Victor: Auswanderung nach Hoch-Texas: I. Theil: Beschreibung des Landes am obern Trinity-Fluss. Aus dem Französischen übersetzt von Karl Bürkli und Kaspar Bär;

Studer, Hermann: Auswanderung nach Hoch-Texas: II. Theil: Was wir in Texas wollen. Andeutungen über Organisation der Arbeit, Zürich: Orell, Füssli und Comp., 1855. Signatur D 1953 (Sammelband).

 

[1] Zit. nach Hafner, Urs: Karl Bürkli, Der Sozialist vom Paradeplatz, Basel: Echtzeit, 2023

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