Liebe, Hass, Reue, Romantik, Selbstmord

«Die Schweiz. Im Hintergrunde hohe Berge, die eine Maus und die Schweizer Freiheit ge­bären. Auf dem Gipfel derselben bemerkt man Gefrornes. Einige Schweizer Kühe sind in tiefe Betrachtungen versenkt und mehrere Ochsen beissen ins Gras. Rechts ein wässri­ger See, links eine romantische Landschaft, in welcher mehrere Romantiker und Jesuiten spazieren gehen. Die Sonne ist schon über alle Berge und der Mond erscheint in einem Zustande der Halbheit. Die ganze Gegend lei­det an Alpdrücken.»

Mit dieser Szene eröffnet das «unglaublich tragische Fasnachtsspiel: Ritter Toggenburg, oder: Liebe, Hass, Rache, Reue, Romantik, Selbstmord und moralisches Bewusstsein» von Ludwig Kalisch, enthalten in seinem 1845 erschienenen «Buch der Narren», in dem er sich kritisch-satirisch mit Zensur und Fürstenwillkür auseinandersetzt.[1]

Nachdem der Ritter Toggenburg im 2. Akt von seiner angebeteten Bertha eine Abfuhr kassiert hat,

«Er zwar, des Liebe mich erkor,

Er ist ein Ritter, das ist wohr.

Sein Auss’res ist auch stets geharnischt;

Allein im Innern steckt ihm jar nischt.»

wechselt die Szenerie für den 4. Akt:

«Das gelobte Land. Rechts fliesst Milch, links Honig. Im Hintergrunde sieht man, wie sich orientalische Morgenländer gegenseitig die Köpfe abschnei­den. Kriegsgetümmel und Janitscharenmusik. Die Scene verliert nach und nach ihre Wildheit und verwandelt sich in ein liebliches Schlachtfeld.»

Hier ist der Ritter höchst aktiv,

«Drei tausend Feinde hab’ ich schon erworgen,

Und noch zweihundert müssen dran bis morgen:

Dass künftig jeder Saracenenschurg

Mit Zittern denken soll an Toggenburg.»

während seine Bertha, die im 3. Akt ins Kloster eingetreten ist, ihm im 5. Akt nachweint:

«Dort auf der Alp wird’s froher stets und lauter;

Doch mich erfasst ein nie gekannter Schauter.

Mein Inn’res will vor herbem Gram verstummen,

Dass er vom Kreuzzug nicht zurückgekummen.

Heirathen will ich nicht; denn ich bin Nonnin

Und will beenden, was ich einst begonnin.

Doch sehen möcht’ ich ihn mit seinen Narben,

Und sollt’ ich auf der Stell vor Schmerzen starben.»

Ihr Wunsch erfüllt sich noch im selben Akt. Der Ritter kehrt heim. Da eine Heirat keine Option mehr ist, beschliessen die beiden:

«Doch wollen wir in’s Angesicht uns sehen,

Bis beide wir vor langer Weil vergehen.»

Es dauert nicht lange, bis die beiden jämmerlich sterben, worauf sich Ber­thas Mutter mit dem Strickstrumpf erstickt und ein unbeteiligter Lampen­putzer dem Spiel endgültig ein Ende macht:

«Da alles hin, bin ich auch nicht vonnöthen,

Drum will ich selber jetzt mich selber tödten.

Doch eh’ ich sterbe, ruf’ ich: Ach und Weh

Und ende schrecklich die Tragödie.»

[1] Ludwig Kalisch (1814–1882), bedeutender Vertreter des literarisch-politischen Mainzer Karnevals, überzeugter Demokrat, nach 1849 im Exil in Frankreich und England.

 

Kalisch, Ludwig: Buch der Narrheit. Verlag Johann Wirth: Mainz, 1845. Signatur D 467.

 

 Mirjam Schreiber

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