Zürcher Poetikvorlesungen
An drei Abendvorträgen im November reflektieren renommierte Autor*innen im Literaturhaus Zürich über das eigene Schreiben – seit 25 Jahren.
Warum Kunst? Poetikvorlesungen von Milo Rau
«Dieses Zwingen und Würgen der Wirklichkeit, damit sie das Imaginäre, das Utopische, das Zukünftige ausspuckt: Das ist für mich realistische Kunst.»
Er gilt als einer der einflussreichsten und interessantesten, aber auch umstrittensten und skandalösesten Künstler unserer Zeit: Im Herbst 2022 hielt Milo Rau die Zürcher Poetikvorlesungen. An drei Abenden im November sprach er zu den ästhetischen und gesellschaftspolitischen Grundfragen seines künstlerischen Schaffens.

Regisseur, Aktivist, Autor
Milo Rau geboren 1977 in Bern, ist Theaterregisseur, Filmemacher, Aktivist, Autor und seit der Saison 2018/19 Intendant des NTGent (Belgien). Seit 2002 veröffentlichte er über 50 Theaterstücke, Filme, Bücher und Aktionen und wurde vielfach preisgekrönt. Rau und sein International Institute of Political Murder (IIPM) haben in den letzten fünfzehn Jahren die Ästhetik des zeitgenössischen Theaters mit zahlreichen aufsehenerregenden Produktionen geprägt.
Seit der Gründung konzentriert sich das IIPM auf die multimediale Bearbeitung historischer oder gesellschaftspolitischer Konflikte: Unter anderem holte die Produktionsgesellschaft die Erschiessung des Ehepaars Ceausescu («Die letzten Tage der Ceausescus»), den ruandischen Völkermord («Hate Radio») und den norwegischen Terroristen Anders B. Breivik («Breiviks Erklärung») auf die Bühne, boxte per Theaterperformance das Ausländerstimmrecht ins Parlament einer Schweizer Stadt («City of Change»), hob 2013 mit zwei mehrtägigen Justiz-Spektakeln («Die Moskauer Prozesse» und «Die Zürcher Prozesse») ein völlig neues Theaterformat aus der Taufe. Zuletzt sorgte das IIPM mit den international gefeierten Produktionen wie «Five Easy Pieces» (2016), «General Assembly» (2017), «Die Wiederholung» (2018) und «Das Neue Evangelium» (Film 2020) für Aufsehen.
Theater als Ort der Verantwortung
Raus Schaffen steht in der Tradition engagierter Kunst. Aber sein Anliegen ist nicht als Dokumentarismus misszuverstehen. Denn es geht nicht, so unterstreicht Rau, um eine «Reproduktion der grässlichen und deprimierenden Wirklichkeit», und auch nicht um die «kleinbürgerliche Skandalsucht» am politischen Konflikt. Die künstlerisch-politische Grammatik Raus gruppiere sich um den Konjunktiv: Statt der Wahrheit des Gewesenen die Kritik des angeblich «Unmöglichen» und «Unveränderlichen», der «Starre einer als alternativlos behaupteten Gewalt oder Unterdrückung» (Carolin Emcke). Und so wird Theater, wird Kunst als öffentlicher Raum befragt, als Ort der Verantwortung, an dem der ästhetische als politischer Akt in Erscheinung tritt.
Vorlesungen und Kolloquium
3. November 2022, 20 Uhr im Schauspielhaus Zürich
Moral und Paralyse – Über die totale Gegenwart
10. November 2022, 20 Uhr im Literaturhaus Zürich
Lob des Extremismus. Eine kurze Geschichte der Revolte
16. November, 20 Uhr im Kunsthaus Zürich
Die Rückeroberung der Zukunft. Der kommende Aufstand
Werkstattgespräche am Deutschen Seminar (für Studierende)
Freitag, 4.11., 11.11. und 18.11.2022
Schönberggasse 9, 8001 Zürich
Begleitseminar zur Poetikvorlesung (für Studierende)
Freitags 10.15-12.00 Uhr
Dozentin: Cornelia Pierstorff