Über einige Sätze des Michel Eyquem de Montaigne
Was das Gesetz verdammt, darüber lacht oft das Volk: Eines der trefflichsten Beispiele hierfür ist wohl das Schmuggeln. Über kaum ein anderes Delikt – sieht man vom Diebstahl geistigen Eigentums unter Politikern einmal ab – wird so viel gescherzt wie hierüber. Es ist fast so, als wäre das weit verbreitete Vergehen des Schmuggelns eine Art heimliche Heldentat, ein kleiner Aufstand gegen den Fiskus, der bekanntlich sogar Robert Lembkes Hund Fanpost einbrachte, nachdem selbiger den Finanzminister gebissen hatte. Alles in allem also ein Kavaliersdelikt. Denn seien wir ehrlich miteinander: das Klischee der schmuggelnden Flugbegleiterinnen und Piloten kennt jede Fernsehsendung. Auch Häfen sind nicht sicher, denn – würde man Krimiromanen Glauben schenken, man müsste sich fragen, wie in Frachtcontainern noch Platz für die eigentliche Fracht sein soll. Selbst die Grenzen auf festem Erdboden sind laut den Stammtischen vor dieser Unsitte nicht sicher, wie folgender Spottwitz über Zollbeamte beweist:
An der Grenze fährt ein Mann mit dem Fahrrad vor, auf dem Gepäckträger einen Sack.
Zöllner: «Haben Sie etwas zu verzollen?»
Mann: «Nein.»
Zöllner: «Und was haben Sie in dem Sack?»
Mann: «Sand!»
Bei der Kontrolle stellt sich heraus, dass es tatsächlich Sand ist. Eine ganze Woche lang kommt jeden Tag der Mann mit dem Sandsack auf dem Gepäckträger geradelt. Am achten Tag wird’s dem Zöllner doch verdächtig. Der Sand wird diesmal gesiebt – Ergebnis: Sand.
Der Mann kommt weiterhin jeden Tag. Zwei Wochen später wird es dem Grenzer zu bunt und er schickt den Sand ins Labor – Ergebnis: Sand.
Nach einem weiteren Monat der «Sandtransporte» hält es der Zöllner nicht mehr aus und fragt den Mann: «Also, ich gebe es Ihnen schriftlich, dass ich nichts verrate, aber Sie schmuggeln doch etwas. Sagen Sie mir bitte, bitte, was es ist!?!»
Der Mann: «Fahrräder …»
Was der Staatsmacht Leid ist, ist also wahrlich des Volkes Freud. Dabei dient das Schmuggeln bei weitem nicht immer der Umgehung des Zolls. Schon Histaios wusste jener Sage nach, die unserem Witz zum Vorbild gereicht haben könnte, die persische Staatsmacht zu umgehen. Er schrieb einen belanglosen Brief und versteckte die eigentliche, geheime Botschaft unter den Haaren eines Sklaven, dem er die Kopfhaut tätowierte.
Müsste ich also einen Freund beraten, der etwas schmuggeln wollte, sagen wir, eine Antiquität, so kann ich ihm erst einmal beruhigt sagen, dass er in guter Gesellschaft ist. Man schmuggelt, um den Zoll zu umgehen. Man schmuggelt Botschaften an Orte, wo sie nicht hingelangen sollen. Man schmuggelt Menschen über Grenzen. Man schmuggelt Verbotenes. Man schmuggelt Tiere und Waffen und, wie Timmerberg uns wissen liess, als er über die Yakuza schrieb, das eine mit dem anderen. Man schmuggelt Essen ins Kino, Alkohol auf Festivals und am gefährlichsten von allen ist wohl das Schmuggeln von Ideen.
Wie viele grosse Bücher fielen den lügenden Flammen zum Opfer, weil man befürchtete, die darin enthaltenen Ideen könnten die Bevölkerung anstecken? Wie viele Männer starben, weil sie Dinge aussprachen, die niemand ausgesprochen hören wollte und ganz konträr dazu gesprochen, wie viele Leute mit Visionen verloren jede Chance auf deren Verwirklichung, weil sie sich allzu eifrig der geistigen Arbeit anderer bedienten. Dieses Hineinschmuggeln geistigen Eigentums der Grossen in die eigenen banalen Werke greift ohnehin rascher um sich als ein gewöhnlicher Schnupfen im Herbst! Man könnte fast meinen, in der heutigen Zeit der Individualität und ewigen Kreativen sei das Originelle mit allen Restriktionen ausgestorben. Fast mag man den grossen da Vinci schelten, weil er alle Ideen schon hatte und keine mehr für uns übrig liess. Es schreiben doch in diesen Zeiten wahrlich alle voneinander ab und verbergen es voreinander. Was bin ich froh, dass zumindest dies ein Fehler ist, von dem ich völlig frei bin. Ich schreibe nur auf, was ich denke und von wem sollten meine Gedanken schon sein, wenn nicht von mir?
Nun hilft das Denken einer so redlichen Person wie der meinen all jenen, die sich mit weniger tugendhaften Plänen tragen, freilich nur wenig weiter. Gerade bei der Frage des Schmuggelns von Antiquitäten kann ich zwar erneut auf Timmerberg verweisen, der in einer gleichnamigen Erzählung beichtete, einen ägyptischen Skarabäus über diverse Grenzen geschmuggelt zu haben. Leider verriet er aber nicht wie. Daher sei mir abschliessend noch kurz erlaubt zu berichten, wie ein Freund das Problem anging:
Er ist ein jüngerer britischer Geschäftsmann, der vielen Geschäften in China nachgeht. Wie er mir vor einigen Abenden lachend berichtete, war er auf unlauterem Wege in den Besitz eines alten druidischen Amuletts gekommen, welches zwei Misteln zeigt. Mein verehrter Freund beschloss, das seltene Stück einem chinesischen Bekannten zur Hochzeit zu schenken, da jener ein grosser Freund und Sammler druidisch-keltischer Ritusgegenstände ist. Die Schwierigkeit war nur der britische Flughafenzoll. Die erste Überlegung meines Freundes war, das Stück in den Schuhen zu transportieren. Aber die Sorge, er könne es beschädigen, siegte. Die Idee, einer Dame des Bordpersonals näher zu kommen, es ihr zuzustecken und auf dem Flug wieder an sich zu nehmen, verwarf er aufgrund der treuen Ergebenheit zu seiner Verlobten. Also nahm mein Freund einen sehr umständlichen, aber in seiner Komplexität nur zu bewundernden Weg: Er beschwor zur Mittagszeit am Abflugtag mit einer neuen Kupfermünze, einem Vers aus einem Kinderreim, einem Messer aus Feuerstein, dem Zweig einer Mistel, einem ausgerissenen Zehennagel, dem Blut von Katzen und der Feder einer Krähe einen zaubermächtigen Geist mit einem Namen, den jeder kennt. Er band jenen Geist an das Amulett und befahl ihm, es unsichtbar in sein Fleisch sinken zu lassen. Mein Freund schrieb mir später aus Kuala Lumpur, wo er auf dem Weg nach Peking umstieg, dass alles fabelhaft klappen würde, nur das Boarding von Malaysia-Airlines liesse zu wünschen übrig. Gleich aber würde er an Bord der Boeing MH370 steigen und sobald er gelandet wäre, den Geist loswerden…
Anmerkung der Autorin
In den Text sind zwei indirekte Zitate sowie eine Anspielung eingebaut: Die Zitate aus Helge Timmerberg, «Tiger fressen keine Yogis», München 2007 (Yakuza/Der Skarabäus), die Anspielung auf Neil Gaiman, «The Sandman Preludes & Nocturnes», DC 2018.