«Die Sonne scheint auch in der Stadt»
Baugeschichtliches Archiv, Gottlieb Gloor

«Pfarrer Adolf Maurer führte mich in die Museumsgesellschaft ein, eine altehr­würdige, im besten Sinne des Wortes respektable Vereinigung, die nach wie vor ihren Mitgliedern angenehme Lesesäle bietet, in denen man alle nennens­werten Periodika und eine ganz ausgezeichnete Leihbibliothek findet.»[1]

Adolf Maurer führte nicht nur Manès Sperber, dem er in den 1940er-Jahren bei sich zu Hause lange Zuflucht gewährte, in die Museumsgesellschaft ein, son­dern war auch Mitglied der Kirchensynode (religiös-soziale Fraktion) und der Vereinigung antimilitaristischer Pfarrer. Letzteres führte dazu, dass ihm der Re­gierungsrat 1933 einen Lehrauftrag an der Theologischen Fakultät der Univer­sität Zürich verweigerte. Dieselbe Universität hatte ihm nur zwei Jahre früher für sein literarisches Schaffen die theologische Ehrendoktorwürde verliehen. Maurer war fast 50 Jahre lang Redaktor des «Zwingli-Kalenders» und schrieb für den «Kirchenboten». Zudem verfasste er neben Predigten auch Geschichten und Gedichte.

In «Die Sonne scheint auch in der Stadt», erschienen 1959, erinnert er sich an seine Jugend in Zürich, wo er 1883 als Sohn des Chefs der Strassenlaternenanzünder zur Welt kam und später Jahrzehnte lang als Pfarrer amtete.

Maurer lässt das Zürich seiner Kindheit in gut 30 kurzen Kapiteln aufleben. Dabei beschreibt er so detailliert, dass man die Stadt und die Gewohnheiten, Sitten und Gebräuche von früher fast vor Augen hat:

«Unser Gässlein in der Schipfe, das engste in der Stadt, mündete aus in einen offenen Platz, in eine Art Büchtlein an der Limmat. Hier, gegenüber der Fleischhalle, lagen drei Schiffe vor Anker, ein seltsam aufgetakelter kleiner Dampfer, der einem deutschen Oberingenieur gehörte, daneben ein langer Weidling der Polizei, der für Rettungsdienste bereitstand, und ein breites, viereckiges Boot mit einem gewölbten Blechdach. Da drin wuschen und spülten die Frauen der Umgebung im reissenden Wasser ihre Wäsche.»

Während die Frauen Wäsche wu­schen, war für die Kinder die nahe liegende Gemüsebrücke offenbar ein herrlicher Spielplatz: «[…] die Gemüsebrücke hatte für die Jugend der inneren Stadt darum hohen Kurs, weil sie asphaltiert war und sich kein Platz der ganzen Stadt so gut zum Chlüren eignete wie sie. War nicht gerade Markt oder kamen nicht just die Kantonsräte vom Rathaus her oder von der Fleischhalle die Osterstiere mit ihren blumen­geschmückten Hörnern, so […] gehörte der herrliche Platz, glatt wie eine Tisch­platte, uns Buben für unser Spiel.»

Aber auch das Leben und die Gewohnheiten der einfachen Arbeiterfamilien beschreibt Maurer sehr lebensnah: «Mein Bruder war damals Schlosserlehrling und musste am Samstagabend die Bude aufräumen, um dann seinen Zahltag entgegenzunehmen. […] dann machte der Empfänger mit seinem gelben Lohnsäcklein auf dem Heimweg den Rank über die Strehlgasse, um beim Bäcker Koch, wo man die besten Birnweggli von Zürich bekam, das Stück für zwei Batzen, sich ein paar Muster zu holen und uns heimzubringen. Bald sassen wir alle, Mutter, Bruder, die ältere Schwester und ich – Vater hatte ja Nachtdienst – um den Stubentisch herum, erlabten uns an den köstlichen Birnweggli und sangen dazwischen ein Lied nach dem andern. […] Was waren das für beglückende Samstagabende!»

Die letzten Jahre lebte Maurer in Brüttisellen, wo er 1976 verstarb. An Zürich erinnerte er sich aber offenbar immer gern:

«[…] ich weiss es wieder, wenn ich auch jetzt hinterm Zürichberg im Grünen sitze: Die Sonne scheint auch in der Stadt.»

 

[1] Sperber, Manès: Bis man mir Scherben auf die Augen legt, Wien, Europaverlag, 1977, S. 309.

Bild: Baugeschichtliches Archiv, Gottlieb Gloor

 

Maurer, Adolf: Die Sonne scheint auch in der Stadt, Basel: Friedrich Reinhardt AG, 1959. Signatur M 3192

 

Mirjam Schreiber

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