Februar 2019

4×21=84

von Lina Schwenk
Jahresthema: Zahlen
Monatsthema: 2184

18:08    Erzählst du mir was von dir?

18:08    Noch mehr?

18:08    Ja noch mehr. Was hast du heut gemacht?

18:15    Ich war heute Morgen im Wald. Und habe meine Runde gedreht, durch die Grashalme und durch die Birken. Hab niemanden getroffen. Das Licht hat mich wie ein Magnet durch die Bäume gezogen. Ich musste gar nicht viel tun.

18:17    Du warst also ein Stück Eisen?  

18:20    Ja, aber ein warmes Stück… Die Sonne war mein Feuer. Jetzt hab ich schon nicht mehr die gleiche Form wie zuvor.

18:23    Ich bin eine Kugel. Bin erst seit 5 Minuten zu Hause und war von der Uni so müde, dass ich rollen musste.

18:23    Und bist du dann Kugel geblieben?

18:23    Ach, eigentlich bin ich jetzt nur noch eine Pfütze auf meinem Bett…

18:23    Nass?

18:24    Keine Motivation zum Abtrocknen.

18:25    Das mag dein Bett sicher gern.

18:26    Es hat mich akzeptiert.

18:40    Was liegt denn noch in deinem Bett ausser einer Pfütze?

18:45    Hier liegt noch ein Apfel auf einem Teller. 

18:47    Dann fehlt dir ein Hümmelchen für den Apfel.

18:48    Ein Hümmelchen? Ein Fümmelchen meinst du wohl.

18:50    Nein, ein Hümmelchen. Ein kleines Messer zum Teilen des Apfels in zwei gerechte Hälften. Eine für dich und eine für mich.

18:55    Sie brauchen nicht gerecht sein, ich würde dir die rötere geben.

19:10    Erzähl mir was von dir.

19:10    Haha, touché!

19:12    Erzähl mir, wie deine Stimme klingt.

19:15    Mhm.

19:20    Ich denke, etwas trocken.

19:20    Wie alte Rinde?

19:21    Nein, eher wie Sand…

19:22    Wie Sand, der leicht von einer Hand in die andere rieselt?

19:25    Wie Sand, den ich auf Dielen verteile und anschliessend verstreiche. Der Dielenboden ist uneben und so setzt sich Korn in Holz und verliert sich.

19:26    Dann ist es eine leise Stimme?

19:26    Das kommt auf die Zuhörerin an.

19:27    Oder auf die Ohren.

19:27    Wie ist deine Stimme?

19:28    Wie hörst du sie denn in deinem Kopf?

19:32    Fast wie ein Flüstern aus der Nähe. Ein Blätterregen im Herbst von den Bäumen vor meinem Fenster.

19:33    Ja, genau so klingt sie.

19:33    Ach ja.

19:35    Ich klinge wie ein Wald. Jedenfalls hätte ich das gerne. Hunderte Stämme, die alle ihren Platz kennen.

19:36    Ja! Dann sollte meine Stimme wie das Meer sein, von niemandem umzustimmen und Launen werden immer akzeptiert.

19:37   Wer stimmt dich denn um?

19:38    Ach niemand.

19:38    Niemand Schlüter?

19:38    Haha nein, Niemand Müller…

19:40    Es kommt bloss vor, dass das Gehört werden fremd wird.

19:42    Ich höre dich, obwohl es hier still ist. Und ich hab selten so Schönes gehört.

19:45    Was glaubst du, was wichtiger ist? Das Wort oder der Sand, der in die Dielen gerieben wird?
19:49    Meine Wörter kommen eigentlich nur, wenn sie in guter Gesellschaft sind.

19:50    Vielen Dank.

19:52    Woher kommen deine Worte?

19:58    Ich weiss nicht, ich glaube, manche finde ich auf einer Seite, in einer Zeitung, irgendwo im Rascheln, oder in einem Gespräch, in einem kleinen Satz, der nicht einmal an mich selbst gerichtet ist, manche nehme ich auf und lasse sie tief hinein, bis sie wieder hervorkommen. Sie verbinden sich und werden Paare und werden glücklich oder nicht. Aber es ist verrückt. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr habe ich das Gefühl, dass sich welche gefunden haben. Und dass es auch in Ordnung ist, wenn sie sich nicht finden.

20:10    Ich glaub, du bist grösser als ich.

20:16    Möglich, ich messe immerhin eine dreiviertel Haustür hoch.

20:20    Ha, ich bin eine vierfünftel Haustür hoch.

20:21    Ja deine, aber meine?

20:21    Gerade so gross, dass ich dir einen Kuss auf die Spitze geben kann.

20:22    Ich habe aber doch einige Spitzen.

20:24    Umso mehr Küsse wären es dann.

20:31    Sind wir von den Worten zu den Küssen gekommen?

20:32    Wir gehen bloss von der Theorie in die Praxis.

20:32    Wie romantisch.

20:33    Wie notwendig für ein Dasein in dieser Welt.

20:35    Wenn das notwendig ist, hatte der Schöpfer da gerade Ebbe.

20:40    Was ist so schlimm an Ebbe? Sand und Wasser, die sich Raum geben, dem anderen ein wenig von sich zurücklassend.

20:41    Schön gesagt Herr Meer, aber trotzdem bevorzuge ich Flut.

20:42    Ich werde es dem Schöpfer ausrichten, Frau Wald.

20:42    Sagen Sie ihm auch, dass es nicht schadet, wenn man ab und an die Stube, den Rücken zum Kühlschrank und von der Praxis in die Theorie kehrt.

20:42    Natürlich Frau Wald, bloss das mit dem Kühlschrank finde ich schwierig.

20:43    Aber sonst wird der Gute noch gemütlicher und lässt den Menschen alles durchgehen.

20:43    Ach ja? Was denn genau?

20:45    Na zum Beispiel, das Alter nicht zu ehren.

20:47    Musstest du wieder deinen Platz im Bus hergeben, obwohl da zig junge Burschen gegenüber sassen?

20:48    Nein, ich musste stehend fahren.

20:49    Vielleicht waren nur Kugeln im Bus.

21:01    Oder Pfützen.

21:02    Warum ärgert es dich so?

21:03    Es ärgert nicht. Es ist bloss ein Gefühl, das durch mich weht, dass die Welt sich verkennt.

21:10    Ich würd sagen, du hast auch Probleme mit dem gehört werden.

21:12    Ja, vielleicht.

21:14    Vielleicht ist mein Körper zu leise.

21:16    Aber wie alt bist du denn, Frau Wald?

21:17    Das ist eine Zahlenfrage.

21:19    So alt wie das Meer?

21:20    Wie alt ist das Meer?

21:21    Ich glaube 21 Sommer.

21:24    Ich würde sagen, ich bin vier Mal so alt.

21:27    Mensch, das ist alt. Selbst. Das. Meer. Ist. Schon. Müde. Vom ewigen Vor und Zurück.

21:28    Vor und Zurück ist doch gut. Da sieht man alles ganz genau. Und man kann nochmal überdenken.

21:30    Worüber denkst du denn nach?

21:31    Mhm.

21:33    Über deine Haut.

21:35    Bloss über meine Haut?

21:37    Ja und über deine Haut fahre ich vor und zurück …

21:38    Das ist wirklich nicht das Schlechteste.

21:39    Ich drücke ein bisschen fester und fülle deine Lücken mit meiner Hand.

21:41    Welche Lücken denn?

21:45    Vielleicht meine ich meine eigenen.

21:47    Die füll ich doch gern.

21:47    Und womit?

21:51    Na zum Beispiel mit meiner Stimme und mit Buchstaben, mit Strichen und Punkten und ganz am Ende mit Licht.

21:53    Das alles füllt keine Lücke. Es überspannt sie bloss wie ein Netz. Und das Licht, das Licht, leuchtet die ganze schöne Lücke ordentlich aus. Na, herzlichen Dank.

21:59    Hey hey, ist ja gut. Hab die Ebbe mit Romantik verwechselt. Aber stell dir doch wenigstens vor, du könntest die Buchstaben von mir nehmen und sie auf deinen Körper legen. Dicht aneinander, wie eine Decke. Die gleitendste und interessanteste Decke mit all meinem Witz drinne.

22:05    Na, das mit dem Witz hört sich gut an.

22:07    Ja, und als Kissen unter deinen Kopf würde ich ein Gedicht legen.

22:07    Das wäre wunderschön.

22:07    Dein Flüstern ist wunderschön.

22:08    Welches Gedicht denn?

22:18    Warte.

22:31

…    …………….     …..    …..         ……………………………………………………………… ……………………………………………….        ………………………… …………………………………………………  ……………     ………………………………………………………………………….   ………………. ……… ……………………………………                                                              ………………………………………………….                                                             ………………….………………………………………………………………………………………………………………

22:47    Ja, das war’s.

22:47    Das war das Gedicht?

22:47    Jawohl.

22:47    Darauf soll ich meinen Kopf betten?

22:47    Nur, wenn du magst.

22:48    Ich denke, ich mag.

22:49    Dann schlaf mal gut.

22:50    Auf was legst du denn deinen Kopf nun?

22:51    Na, auf unsere Worte.