August 2005

Gedanken für M.

von Eszter Váci
Jahresthema: Brief
Monatsthema:

Gestern habe ich in einem Restaurant zum ersten Mal nach fünfundzwanzig Jahren einen Apfelpfannkuchen gegessen.

Nun, er sah nicht aus und schmeckte nicht wie in meiner Erinnerung – er war zu hell (du weisst, dass ich sie gerne ein bisschen angebrannt mag, genauso wie Vanillepudding), und die Apfelscheiben waren dünn und geschmackfrei. Ich vermute, ihm und mir fehlte die Zeremonie: Dir dabei zusehen, wie du den Apfel schälst, die Schale der Eier auf dem Rand der Rührschüssel anschlägst (zweimal, weil du beim ersten Mal zu zaghaft bist) und den Inhalt hineinfallen lässt, ihn schaumig rührst und nach Augenmass Zucker und Mehl dazugibst. Du verquirlst alles lange, bevor du den flüssigen Teig kellenweise in Kreisen in die Pfanne laufen lässt. Der Duft heisser Butter. Das Wenden im richtigen Augenblick, mit einer einzigen, fliessenden Bewegung, ohne den Teigling zu beschädigen. Der Moment, wenn du die Pfanne über meinen Teller hältst, und gleich darauf der Pfannkuchen vor mir liegt. Mein Pfannkuchen. Golden. Knisternd. Du streust etwas Zucker drüber. Während des gesamten Vorgangs sprichst du wenig oder gar nicht. Du bist ganz bei mir, bist nur für mich da und legst alles, was du nicht aussprechen kannst, in diese Minuten, in dieses Gericht.

Ich habe deine Rezepte übernommen und sie in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Male verwendet, habe mich und andere damit bekocht, doch ich habe mir nie selbst einen Pfannkuchen zubereitet.

Nachdem deine Verwandlung eingesetzt hatte, kochtest du immer seltener, und ich vermisste die gebratenen und gebackenen Botschaften. Irgendwann war von dir nur noch eine konservierte Hülle übrig. Du bist in dir ertrunken.

Ich verstehe dich. Jetzt. Heute. Hier. Du bist nicht dazu bestimmt gewesen, in einer Hinterhofküche zu stehen und Pfannkuchen zu backen. Ein Kolibri in einem Sittichkäfig. Die einzige Mutter der ganzen Strasse, die Pailletten und Pumps statt Flanell und Faltenrock trug. Du sagtest oft, ich sei das Wunschkind meines Vaters gewesen, und er habe dich mit mir alleine sitzen gelassen, als er gestorben ist. Aus deinem Engelchen, deiner Püppi, wurde so später die Zerstörerin deines Glücks, welches du nach seinem Tod in dem Anderen zu finden glaubtest, denn du hattest erwartet, dass ich meine Schuld an deiner Gefangenschaft mit Schweigen begleichen würde.

Wie solltest du mich lieben und beschützen, während du ohnmächtig mit ansehen musstest, wie deine Schönheit mit jedem Tag verwelkte, das Feuer in deinen Augen erlosch, ohne die Nahrung der Bewunderung, nach der du dich verzehrtest, und die dich in einem Leben vor meiner Geburt hatte erstrahlen lassen? Der Kolibri will von Blüte zu Blüte schwirren und Nektar trinken, nicht Körner aus einem Napf in einem Käfig picken.

Ich denke manchmal an dich, wenn ich koche. Besonders bei den ungarischen Gerichten, deren Zubereitung Papa dir beigebracht hat, und mit denen du mich aufgepäppelt hast, wenn ich krank war.

Ich denke oft an dich, während ich schreibe. Heute habe ich für dich ein paar der Gedanken, die sich sonst nur an den erwünschten vorbeidrücken (während ich von erdachten Menschen in erdachten Leben mit erdachten Gefühlen erzähle) in diesem Brief festgehalten.

Ich denke immer an dich, immer, wenn ich auf einer Bühne stehe – und ich wünschte, du könntest mich dort sehen: wie ich deinen Traum weiterlebe.

Heute, in Liebe.

E.