März 2008

insomnia

von Barbara Macek
Jahresthema: Tagebuch
Monatsthema: ---

02-07

nicht schlafen, nie schlafen, halleluja. das leben an der gurgel packen und ordentlich zudrücken: gib schon her. flattrige nerven. aus den augenwinkeln beobachte ich das leichte zittern meiner hände.
mein herzschlag beschleunigt sich.

02-08

ich gehe wie auf wolken, nein, das stimmt so nicht. ich habe wolken statt beine. ich wabere über die straße, diffundiere durch die offene tür ins straßenbahninnere. die fahrbewegung schlägt wellen in den flüssigkeiten meines körpers. ich kann alles sehen oder denke mir, alles sehen zu können. inwändiges und auswändiges zugleich. das an den rändern überlappt, und in der mitte.
verschwommene stellen im blickfeld und manche verdoppelung. immerhin sind die geräusche etwas abgerückt von meinem leib. gedämpfter.

beim aussteigen verliert sich mein zweiter schritt in der raumlosigkeit. aber ich falle nur beinahe, und stolpernd nimmt mich die rolltreppe auf.

02-09

um zwei lege ich mich leichengleich ins bett und ziehe drei schichten von decken über kopf und körper.
die kälte an den enden der extremitäten bleibt.

ich denke, dass meine schleimhäute sicher ganz blass sind und dann fallen mir weißwale ein, belugas, wie sie auf infrarotkamerabildern in graugrünem wasser stehend lächeln.
ich versuche, die belugas zu zählen, indem ich innerlich an ihnen vorüber schwimme, aber ein kippeffekt katapultiert mich jäh aus dem wasser und schleudert mich zurück an land, in mein bett, indem ich leichengleich und schlaflos liege.
dass ich nicht schlafen kann, denke ich nicht, aber in der ferne tragen alle gipfelkreuze und wegschilder diese aufschrift.
ich bin verwirrt.

ich versuche gedanken und bilder und erinnertes und jetziges und wünsche zu entwirren und eine ordnung anzuzetteln in mir, aber die anzahl der zu ordnenden einzelteile übersteigt bei weitem meine kräfte.

ich denke, jetzt bin ich müde, jetzt schlafe ich ein, aber sofort tritt nahe des herzens ein verkrampfungszustand auf und ich höre mich seufzen, und es ist vielleicht drei, und es ist aussichtslos, es wird nie hell werden, es wird nie der nächste morgen sein.

hier ist ein reglos-ruheloser körper in der falle, der satz tritt auf wie eine lautsprecherdurchsage, nur ohne ton.
ja es ist die nachtfalle, die zeitfalle, die lebensfalle, denke ich.
bin ich das. oder wer denkt sich da in mich hinein.

ich weiß, dass die geisterstunde längst vorbei ist und ich drehe meinen körper einmal um die eigene achse und ich krümme mich schließlich ostwärts ein, in erwartung eines ersten blassen flecks am fenster, eines morgenschimmers.

02-10

ich schlafe nicht und ich schreibe auf, dass ich nicht schlafe. wozu oder warum auch. wer lebt, schläft nicht. (wer denkt, schläft nicht/ wer fühlt, schläft nicht.) tausend gute gründe für das nichtschlafen schreibe ich nicht auf aber ich glaube, sie zu kennen. ich tue so, als hätte ich die wahl. ich habe die wahl nicht, aber andere können zum beispiel nicht wach bleiben, ich bin gerührt über die schläfrigkeit der anderen, über ihr kindliches die schweren augenlider nicht offen halten können, ihre zurücksinkenden köpfe, ihre auseinander gehenden lippen und die vertiefung ihres atems. schlafende körper rühren mich. wie sie sich vertrauensvoll der nacht übergeben und all ihren begleiterscheinungen.

ich denke, dass ich über sie wache, sie verlassen sich auf mich. auf die offenheit meiner augen, die schärfe meiner sinne, die logischen gedankenketten in meinem kopf. stafettenläufe, beobachte ich, die sich in meinem hirn abspielen; aber da beginnen sich einzelne neuronen an den händen zu fassen und im kreis zu bewegen und ich verlasse mein hirn und trete hinaus, auf eine saftige wiese im sonnenlicht, es ist warm und ein leichter wind bewegt sachte die gräser, als mich plötzlich etwas grob an den haaren packt und ich mich wach liegend im bett wiederfinde.

02-11

schwer zu sagen. ich antworte auf das meiste: schwer zu sagen, und es ist die totale ehrlichkeit, die mir aber nicht die herzen der mitmenschen öffnet.

mir ist die hässlichkeit meiner blassgrauen haut, meiner geröteten augenlider, der zerplatzten adern im weißen meiner augen, des faltenwurfes rund um meine augen, der furchen neben meinen mundwinkeln bewusst, aber ich kann nichts machen, denke ich, es ist nun mal dieser körper. ich ernähre und beatme und bewege ihn, aber ich vergesse, ihn mit schlaf zu versorgen, als könnte so etwas vergessen werden, als wäre das nicht das selbstverständlichste von der welt. von welcher welt, offenbar nicht von meiner, in der die nacht sich ganz von selbst zum tag macht.
das selbstverständliche ist das nicht vorhandene, das abhanden gekommene. ich muss ein eigenes verständnis von allem entwickeln, und ganz besonders vom schlaf.

es gibt schlaflieder, schlafkissen, schlafbrillen, schlaftabletten, schlaftees, schlafpuppen, schlafbäume, an denen man angeblich bloß zu rütteln braucht und schon fällt ein träumelein herab.
aber es gibt kein schlafverständnis, kein schlafbewusstsein, glaube ich, aber ich glaube nichts. ich weiß, was ich sehe, und ich weiß, was ich nicht sehe.

ausschließungszustände: wachsein und schlaf. könnte ich diese dualität überwinden, könnte das die lösung sein.
aber ich bemühe mich ganz dezidiert, am boden zu bleiben.
jeder weiß, dass schlaflosigkeit letztlich in den irrsinn führt, weil sie das gehirn zersetzt wie säure.
ich wehre mich.

02-12

nicht der hauch eines schlafes. keine feder streift sanft meine schläfe, kein morpheus nimmt mich freundlich in seinen arm.
meine haut auf der stirn liegt in gipsernen falten.
ich starre auf die decke; die augen trocknen aus und brennen.
mit der zungenspitze befeuchte ich die aufgesprungenen lippen und höre mir selbst beim atmen zu.
keine beruhigung.

02-13

erbärmlich. ich liege als kaputte gliederpuppe auf der steinharten matratze im bett, mit einem gefühl im bauch, als hätte ich steine zu abend gegessen.

vielleicht sollte ich steine zu abend essen, wie das manchmal krokodile tun, um besser, also tiefer tauchen zu können. vielleicht gelingt es mir mit den steinen im magen, unter die oberfläche des wachbewusstseins und in die tiefschlafgewässer zu gelangen.
ich frage mich, wie aber dann das auftauchen als aufwachen funktionieren kann…

02-15

in den schlaf gefallen um 1h, aufgewacht um halbvier, zerschlagener körper. im kopf wachsende unruhe, gefühlsmäßig frustriert. dann hochgekrabbelt und versuchsweise aus dem fenster geschaut, blassgraue stadtnacht.
zum kotzen.

eine unkontrollierte bewegung hin zur tür, bei der einige bücher vom nachttisch neben mein bett fallen. ich würde am liebsten brüllen, aber ich brülle nicht, ich balle die faust, ich grabe die nägel ins leintuch, ich beiße in den kopfpolsterüberzug.
meine kiefermuskeln schmerzen, hart wie stahl.
sterben, vielleicht träumen, blabla.

ich kriege tagsüber kaum etwas hin, tue mich schwer, zu kommunizieren, etwas konkretes zu artikulieren. worte sind wie fremdkörper in meinem mund, teils haarig, teils unförmig groß, teils glitschig wie eingerollte mollusken.

ich empfinde ekel vor der welt und ihren reizen, ich empfinde wachsendes befremden.
schauer überlaufen mich.

02-16

die schatten unter den augen wirken wie hingemalt. ich trage dicke schichten von hellbeigem puder auf. mein gesicht als sandwüste.
ein trockener husten quält mich.

das, was gefühlt wird, fühlt sich als schmerz.
dort, wo kein schmerz ist, ist auch sonst nichts.
(ein endloser graben zwischen mir und den guten dingen…)

02-17

die wachheit ist nicht weniger sinnlos als das schlafen, aber die sinnfrage stellt sich ja nicht. die lebensfrage. irgendwann ohne schlaf stirbt der mensch, das steht fest und ich glaube es und glaube es nicht, es ist nichts, was mich sehr berührt. mich berührt der gestank und lärm und lichtterror der mitwelt. nach 10 minuten außenwelt beutelt mich blankes entsetzen.
wie können die anderen so leben –

02-18

vielleicht lebe ich ja nicht in dem sinn. in jenem geteilten sinn, in jener gemeinhin gültigen bedeutung.

vielleicht ist das schon gespenstisch. jenseitig. abseitig jedenfalls, ich spüre die ablehnenden blicke bis ins knochenmark. ich kann nicht genau sagen, was der unterschied ist. ich kann nicht benennen, was es ausmacht. aber etwas wesentliches trennt mich –

02-18

ich sitze auf der ledercouch im wartezimmer der arztordination und schlafe. es ist natürlich nur ein traum, aber später bin ich mir nicht sicher. ich weiß nicht genau, ob ich nicht doch geschlafen habe,
ich mag nicht diese neue ungenauigkeit der erinnerung –

ich muss es hinnehmen. das material leidet. schlaf ist eine biologisch definierte lebensnotwendigkeit, und ich kann sie durch essen nicht ersetzen. ich versuche, sie durch essen zu ersetzen, essen entspannt mich. essen ist nicht schlafen, das ist mir klar, aber essen lässt meine gedanken zur ruhe kommen und bringt meinen körper in einen zustand der gefasstheit. ja, ich empfange ein eingeweidelächeln, während ich heringsalatbrote und himbeerkardinalschnitten kaue, schlucke und verdaue.

später kann ich immer noch mit schlafen anfangen.
später schlafe ich mich schlank.
morgen.

02-22

ich schlafe zuweilen. verschlucke mich an einem bissen brot. trinke roten weißen wein, trinke bier und schnaps, ein zwetschkenschnapsbrot fällt mir ein, das ich unlängst versuchte, in einem lokal zu ordern, aber nicht bekam. alkohol jedenfalls lässt mich einschlafen, wenn auch nicht für lange und es sind traumlose schlafsequenzen ohne große form. ich meine damit, sie bringen nicht das ganze programm, das schlafen lehrbuchmäßig ausmacht.

ich trinke, schlafe ein, wache auf, bin durstig, habe magenschmerzen, gehe aufs klo, trinke wasser, atme vorsichtig in den bauch, lege mich auf den rücken, drehe mich auf die seite, mache die augen zu, schlage die augen auf, weiß nicht ob ich wache oder schlafe, weiß sehr wohl, dass ich nicht schlafe, aber ich habe immerhin ein wenig geschlafen und schlafe den rest der nacht nicht mehr, ich stehe auf kurz vor dem morgengrauen, ich setze mich ans fenster und beobachte die tagwerdung, es beruhigt mich nicht, ich denke das wort morgengrauen mit betonung auf grauen, also als schreckenswort, ich denke, schlafen ist wie sterben, ich denke tagesanbruch ist brutalität, das licht zerschneidet die pupillen und versengt die regenbogenhaut, ich denke, die dunkle nacht ist freundlich –
und bleibe draußen.

02-23

nichts kommt her. schon gar nicht der schlafvogel, von dem ich nicht weiß, ob es ihn gibt; der totenvogel ist bekannter.
aber jedenfalls tote schlafen fest, das ist ein filmtitel.
als tote schlafe ich dann endlos, leichen haben ja keine schlafprobleme, aber wie müßig solche gedanken sind, denn, dass es toten an nichts mehr mangelt, ist weithin bekannt.
an leben mangelt es den toten.
mangelt es mir an leben?

schlaf als teil des lebens, aber ohne bewusstsein, jedenfalls ohne wachbewusstsein – was lebt sich da, und lebe ich nicht viel mehr als alle anderen; nicht besser, das wohl nicht, aber viel mehr?

essen wir honig und trinken dazu lauwarme milch und schlucken hopfen-baldrian-tabletten und murmeln wir «ich bin ganz ruhig, meine gliedmaßen sind schwer, mein kopf ist schwer, ich bin ganz ruhig»; atmen wir tief in den bauch und zählen über den zaun springende schafe, …
aber schlafen wir nicht.

02-24

ich bin noch da.

02-25

ich friere erbärmlich. ich sehne mich nach wärme, ich habe drei pullover übereinander an, auf meinem körper liegen drei schichten von decken. ich denke, die kälte kommt von innen, die kälte zirkuliert mit meinem blut durch alle arterien und gelangt so immerzu an jede zelle…

erfrieren soll ja ein schöner tod sein, glaubt man, was die leute sagen. (woher wissen die denn das?)
die kälte nimmt dich angeblich freundlich in den arm und schaukelt dich solange sanft, bis du heraus fällst aus dem leben. anschließend trägt sie dich auf weichen kissen mitten ins totenland hinein – (filmtitel: land of the dead oder auch deadlands: the rising fallen mir ein);
dort wird dann ewig oder gar nie geschlafen.

02-26

meine wirbelsäule hat widerhaken, die sich bei kleinster bewegung in das umgebende muskelfleisch bohren.
ich liege, steif am rücken und halte den atem flach.

ich kann nicht denken in einer weise, die der bedeutung dieses begriffs annähernd entspricht.
ich versuche, zu summen. eine beruhigende weise, ein kleines liedchen aus dem mit kindheit etikettierten erinnerungsreservoir. ich breche nach zwei tönen ab, drehe meinen kopf nach links, lasse die lider nach unten fallen.

später will ich mich ausführlich mit dem gesichtsausdruck schlafender beschäftigen; ihre körperhaltung, ihre mimik eingehend studieren, so wie eine schauspielerin eine rolle studiert, die sie vorhat, in nächster zeit zur aufführung zu bringen.

02-27

okay, ich versuche es anders rum, ich tobe. ich fuchtle in der gegend herum, ich tripple im zimmer auf und ab, ich reiße die augen auf, reiße den mund auf, stoße laute aus, stoße mit dem rechten bein gegen den schreibtisch.
nach der arbeit unternehme ich einen gewaltmarsch an den stadtrand und den stadtrand entlang, dort unter laubbäumen ereilt mich ein schwächezustand und ich bin froh, es noch bis zur nächsten station einer mir unbekannten buslinie zu schaffen.

nach einer viertelstunde, die ich wartend mit kaltem schweiß auf der stirn und unruhig hüpfendem puls verbringe, kommt der bus und ich steige ein, es ist mir egal, wo er hinfährt. später kümmert mich doch, wo er hinfährt und ich studiere die tafel, auf der seine haltestellen und die dort bestehenden umstiegsmöglichkeiten aufgezeichnet sind. ich habe in kürze einen plan, wie ich es in den nächsten stunden zurück in meine wohnung schaffe.

02-28

…musik dröhnt in meinem kopf, meine augen sind verdreht, aus meinem mund dringen vorsprachliche laute. der gedrückte, gequetschte, befingerte leib. ich halte mich zurück, aber ich wehre mich nicht. die qual- und lustvollen empfindungen wechseln sich ab. anschließend zittert meine rechte wade und ich falle in einen sekundenschlaf wie lastwagenfahrer nachts auf der autobahn. danach höre ich neben mir den ruhigen atem des schlafes und erblasse vor neid, oder erblasse vor müdigkeit, ohne aussicht auf nachhaltige erlösung.

ich klammere mich an den warmen körper neben mir und hoffe, etwas von dieser tiefenentspannung möge auf mich übergehen.

später sitze ich über ein glas rotwein gebeugt in der küche und beobachte aus augenwinkeln die digitale uhr am mikrowellenherd.
ich schlucke betont langsam.

03-01

wir frühstücken gemeinsam und ich verstecke mein gesicht hinter der zeitung von vorgestern. er ist bei gutem appetit. ich patze marmelade auf mein weißes shirt, tunke dann auch noch den rechten ärmelrand in den kaffee.
entnervt ziehe ich mich ins bad zurück, höre zwischen dem rauschen des wassers die besänftigenden klirrgeräusche von im einsatz befindlichem besteck.
der abschied verläuft freundlich und flüchtig zugleich.

ich lege mich auf die couch, atme tief durch, teils aus erleichterung, teils aus erschöpfung.
jetzt könnte der schlaf seine flügel über mich ausbreiten und mir kurzfristig das bewusstseinslicht ausblasen, ich hätte nichts dagegen.

03-02

müdigkeit befällt mich wie eine krankheit. beutelt mich, schüttelt meine glieder, packt mich an der gurgel, nimmt mir die luft, versetzt mir kalte schauer.
reißt mich hoch und schleudert mich zurück in die tiefen der matratze.
ich klappere mit den zähnen und halte die augen bloß einen spalt weit auf.

die augen schließen als sei kein tag gewesen, als würde kein weiterer tag kommen.

03-03

wenn ich jetzt einschlafe, soviel ist klar, werde ich nie wieder aufwachen.