Februar 2005

Karfreitag Blues

von Markus Höfliger
Jahresthema: Brief
Monatsthema:

[Adressiert: In Heaven or in hell; to whom it may concern]

Heute vor fast zweitausend Jahren

Vor ein paar Dutzend in die Hosen gegangener Weltuntergangsdrohungen

Haben sie Dich gekreuzigt

Herr Jesus Christus

Oh Mann, das war wohl die folgenschwerste

Exekution aller Zeiten

Dabei bist Du noch – seien wir ehrlich – irgendwie gut weggekommen

Drei oder vier Nägel tun sicher höllisch weh

Aber so schlimm kann’s auch wieder nicht gewesen sein

Lassen das doch ein paar Verrückte auf den Philippinen und anderswo

Jedes Jahr mit sich machen vor laufender Kamera

Einer von denen habe sich heuer bereits zum vierten Mal ans Kreuz nageln lassen

Und dies vor viel mehr Schaulustigen als damals bei Dir

Damit kommt er verdientermassen ins Guinnessbuch der Rekorde

Aber Du schwingst ja noch locker oben aus in der Rubrik der meistverkauften Bücher

Und auch die Liste der am Längsten Abwesenden führst Du konkurrenzlos an

Aber jetzt stell Dir doch einmal vor

Herrgott Jesus

Wie allein schon in diesen Minuten

Wo ich Dir diese Zeilen schreibe

Tausende von Männern und Frauen

Die ebenso an die Gerechtigkeit glaubten wie einst Du

Gefoltert vergewaltigt gequält geschändet geschlagen gedemütigt werden

Und dann multipliziere das mal mit 2000 Jahren

Siehst Du wie sie langsam verrecken

Sie werden wohl nie in ein von Engeln bewachtes Grab gelegt werden

Sie werden nicht einmal verscharrt werden

Ja mein Gott, wie sollen sie denn da je auferstehen

Natürlich hast schon recht

Hab bloss ein grosses Maul

Und eine Scheisslaune an diesem Karfreitag

Wo die Sonne lacht wie ein Spielverderber

Komme gerade vom Fast Food

Hab dort so nen speziellen Osterburger verdrückt

Eine Scheibe Lammfleisch ein zerdrücktes Ei zwischen Backoblaten

Liegt nicht so schwer im Magen wie ein letztes Abendmahl

Hab dort eine angequatscht die roch nach Maria Magdalena

Und hatte auch das Herz von ihr

War nichts zu machen

Aber jetzt stell Dir doch vor

Vater unser im Himmel

Wie viele unter ihnen sind noch Kinder

Kleine Gören

Die am Abend brav ihr Gebetchen zu Dir sprechen

Bevor das Sandmännchen ihre Augen mit Drogen füllt

Oder mit Schlägen

Kinder um deren Kleider schon lange vor ihrer Geburt gewürfelt wurde

Kinder die pausenlos unter einer Handvoll Geldscheinen begraben werden

Und deren Zukunft in einem Plastiksack weggeworfen wird

Warst Du nicht einst ein Kindernarr

Bevor Du diese Welt fluchtartig verlassen hast

Und hatte Dich ihr Lachen damals nicht mitten ins Herz getroffen

Siehst Du es vor Dir

Hundertausende von Plastiksäcken

Millionen von Geldscheinen

Seitdem Du Dich durch die Hintertüre aus dem Staub gemacht hast

Du selber hattest ja wirklich Schweineglück gehabt

Mein Gott

Mit Deiner überbehüteten Kindheit

Vom Stiefvater geliebt

Von der Mutter vergöttert

Formst als fünfjähriger Bengel

Statt Sandburgen aus Lehm ein paar Vögel

Die auf Dein Händeklatschen davonfliegen

Was müssen Dich die anderen Bälger wegen diesem Trick

Beneidet haben und gehasst und gefürchtet ewiger Besserwisser

Ich vergrab mich in meiner Wohnung

Zappe auf der Flimmerkiste

Überall diese Hochglanz-Jesusse mit ketchupverschmiertem Dackelblick

Die ihr Styroporkreuz auf ihren Schultern balancieren

Als wär es ein Konfirmandengeschenk von Oma Anna Selbdritt

Das noch lange halten soll

Ich bleibe bei einem Nachrichtensender hängen

Der auch an diesem Karfreitag exklusiv und

Live aus dem Hubschrauber

Eine weitere Runde von Amerikas beliebtestem Volkssport bringt

Der auch in Europa immer mehr Anhänger findet

Zwanzig-Minuten-Amoklauf mit Hindernissen

Jesu Christe Domine

Falls Du je doch noch auf die Idee kommen solltest zurückzukommen

(Erinnere Dich eigentlich war’s so abgemacht)

Dann vergib uns und Dir kein zweites Mal

Denn was wir tun tun wir vorsätzlich

Mein Herr mein Herr warum hast Du uns verlassen