November 2009

Mio nonno è un astronauta

von Patric Marino
Jahresthema: Kindheit
Monatsthema: ---

E hopp.

Zusammen mit meinem Nonno wuchte ich ein Holzscheit ins Feuer, Funken stieben auf, schwirren umher wie brennende Insekten und steigen zu den Sternen hoch, bevor sie verglühen oder selber zu Sternen werden. Andere heften sich an unsere Arme und stechen. Ich klatsche sie mit der Handfläche. Die Ascheflocken zeichnen Muttermale auf meine Haut, als hätte ich eine Mücke erschlagen und ihr Blut verschmiert.

Dann beginnt das Feuer zu singen. Ich bin mir nicht sicher, aber glaube, es ist das schwere Scheit aus Kastanienholz, das singt. Nonno pfeift die Melodie mit.

Nonno, kennst du die Worte nicht?

Er pfeift weiter.

Natürlich kenne ich sie, jeder kennt die Worte. Ma sai, Patric, ich muss sie nicht aussprechen, ich höre sie auch so.

Calabrisella mia, calabrisella mia
calabrisella mia, sciuri d’amuri
lalléru, lalléru, lalléru lalàla
sta calabrisella muriri mi fa
lalléru, lalléru, lalléru lalàla
sta calabrisella muriri mi fa

Mitsummend puste ich die Ascheflocken von meinen Armen und halte meinen Holzstock in die Flammen. Die aufgesteckte Tomate dreht sich um die eigene Achse. Sie wird russig, ihre Haut verschrumpelt, aus den Ritzen tropft Mozzarella. Der Käsefaden spult sich vom Knäuel ab, ich ziehe den Stock, der an der Spitze zu glühen begonnen hat, aus dem Feuer und puste gegen das siedende Tomatenfleisch, während sich der Käsefaden wie eine Angelschnur bis in die Mitte des Feuers zieht. Der Tomatenfisch ist ein guter Fang.

Auch einen Tintenfisch fange ich. Mit Bewegungen, die ich bei Nonno abgeschaut habe, ziehe ich die Zahnstocher aus der Seppiablase und safte die Füllung aus gestrigem Brot, Kräutern und Käse heraus. Sie schmeckt auch roh. Auf dem Weg zum Strand hat Nonno von einem über die Mauer schiessenden Ast sandig verwaschene Orangen aus dem letzten Winter gepflückt, einige sogar ohne Würmer und Kerne. Die gehäuteten Schnitze stopfe ich in den Tintenfischbauch und nähe ihn mit Zahnstochern zu, schlinge die vielen Ärmchen mit den Saugnäpfen um den Spiess und binde sie fest. Die Ärmchen kringeln sich in der Hitze, sie werden dunkel und knusprig, der gummige, aufgeblasene Körper glänzt.

Sai, Patric, die Seppie erinnern mich immer an Meerschweinchen, mit ihren schwarzen Ärmchen statt den Beinchen mit den schwarzen Krallen. Hast du schon einmal Meerschweinchen gehabt?

Ja, zwei. Fini und Struppi.

Tiere haben keine Namen. Auf dem Bauernhof, wo ich während dem Krieg gearbeitet habe, gab es mehr Meerschweinchen, als ich Namen kenne. Dabei waren es am Anfang auch nur zwei. Sai, Meerschweinchen halten die Ratten weg vom Kaninchenstall, aber nicht die Menschen. Im Winter 45 schlachteten wir das letzte Kaninchen und hatten nur mehr Meerschweinchen, Hunderte Meerschweinchen. Als die Bauersfrau das erste Mal Meerschweinchen kochte – auf die gleiche Art wie Kaninchen, im Ofen, mit Karotten und Tomatensugo – da merkte ich nicht einmal, dass es Meerschweinchen war.

Sein schwarzer Seppia beginnt zu schmelzen, vielleicht ist es Tinte, die heraustropft, in den Flammen zischt und seine Hose dunkel sprenkelt, oder blauer Orangensaft. Das gallertartige Fleisch des Tintenfischs verschliesst den Mund und füllt ihn mit seinem süss-salzig-bitteren Geschmack, wie ihn nur das Meer vereint.

Wir schmücken unsere Holzstöcke ein drittes Mal, mit Pecocche; der Geschmack von Aprikosen, die Grösse und Haut von Pfirsichen; Albicocche und Pesche; Pecocche. Den Stein (der Stein von Pfirsichen) haben wir herausgeschnitten und zwei, drei Häuschen Nussschokolade eingesetzt, die von den Verwandtenbesuchen übrig geblieben ist. Die Pecocche hat uns die Obstverkäuferin mit dem türkis Panda geschenkt.

Scusi, Signor? Andrea, darf ich fragen, wo Sie Ihre Schuhe haben?

Meine Schuhe? Oh, die habe ich wohl zuhause vergessen.

Es ist 45 °C und so trocken, dass meine Tomaten auf der Terrasse nach einem Tag nicht getrocknet, sondern geröstet sind, und Sie vergessen Ihre Schuhe zuhause?

Sa, Signora, früher hatte ich auch keine Schuhe. Im Winter 45 ging ich ohne Schuhe durch Schnee, hier in Guardavalle. Seither spüre ich nichts mehr.

Nonno drückt mir seinen Pfirsichstock in die Hand und geht zur Schwemmholzbank, bei jedem Schritt jault er auf und flucht über die spitzen Kiesel, dann über das splittrige Holz und schliesslich über den beissenden Rauch, der vom morschen Brett aufsteigt, das er ins Feuer gelegt hat. Die Gozzeschalen, die an der Holzplanke kleben, klacken in der Hitze und spicken weg, ich bringe die Pecocche in Sicherheit zu Nonno. Jedes Mal, wenn ich auf einen Nocciolo beisse, glaube ich, es sei der Nocciolo, und spucke ihn aus. Wenn eine Nuss zu Boden fällt, wird sie zu einem Kiesel. Der hell gebliebene Streifen am Holzstock schmeckt nach Süssholz, mit der verrussten Spitze zeichne ich Gesichter auf runde Kiesel.

Die kleinen Steine werfen wir ins Meer, bis zur orange leuchtenden Boje oder noch weiter, bis nach Afrika, man sieht nicht, wo sie im maschinenöligen Wasser aufschlagen. Mit den flachen Kiesel versuchen wir zu schiefern, die Wellen klatschen den Stein aus der Luft wie eine lästige Mücke und verschlingen ihn. Das traurige Gesicht mit dem verschmierten Auge, wo ich mit meinem Kohlenstift abgerutscht bin, trage ich zum Feuer und lasse den Stein hineinfallen. Die glühenden Holzscheite ächzen, Schweissfunken sprühen und durch die helle Aschenwolke und den dunklen Rauch blinzelt mir der Leuchtturm zu; eine Rakete beim Start; Faro I.

Schau, Nonno!

Nonno ist verschwunden. Mio nonno è un astronauta.