Münchner Initiation
Meine Kindheit ist in Wien oder München in Rauch aufgegangen, das hat genützt. Es war meine erste Reise. Ausschlaggebend war Kleopatra, ja, ich glaub, ohne Kleopatra auf dem Päckchen wäre ich nie dazu gekommen. Ohnehin, wer spricht denn schon von Initiation. Nichts solches vorgesehen, Initiation ist nicht drin in unsrer Kultur, erst recht nicht bei nem Mädchen.
Musste zuerst nach Wien gehen, um mir das zu besorgen. War sechzehn, aber noch unschuldig wie ne Fünfjährige. Liess mich mitziehen, da und dorthin jagen von den Leuten, die mich als Au-pair engagiert hatten. Als Kindermädchen, und ich selbst noch `n Kind. Geriet in allerlei Fänge, überall waren Köchinnen, die’s auf mich abgesehn hatten, ausgerechnet Köchinnen. Waren alt und soffen und lesbisch. Geht man zum ersten Mal in seinem Leben überhaupt von zuhaus weg, und überall saufende lesbische Köchinnen. Konnt mich retten, was aber `n Zufall war.
War immer im Haus mit den Kindern, die Freunde meiner Chefs brachten mir ihr Gör auch gleich. Das Haus, war `n Schloss, sass ich in diesem Palast rum mit zwei Kindern, hätte eins sich fast den Hals gebrochen, niemand merkte was. Vielleicht langweilte ich mich. Nach `n paar Wochen wollt ich mal raus, wo ich schon in ner fremden Stadt bin, zum ersten Mal in meinem jungen Leben, dauerte aber ne Zeit, bis ich mich traute.
Ging herum, fielen mir fast die Augen ausm Kopf. Lief durch die Strassen und durch die Pärke und reckte den Hals dahin und dorthin wie so `n Kamel, Häuser wie Kathedralen und Verkehrslawinen durch Strassenzüge, die sicher irgendwo in Russland endeten. Und ich da klein und kleiner mittendrin. Fand prompt das Haus meiner Chefs nicht mehr, verschreckt wie ich war, hatte keine Adresse im Kopf, beschriebs den Leuten, wie es aussah, `n Palast mit acht Ecken und auf jeder `n Turm drauf. Die schickten mich ins Schloss Schönbrunn oder Belvedere, kapierten nicht, dass es Schlösser gibt, wo Leute richtig drin wohnen. Fand’s dann irgendwann, aber den Eingang nicht, nicht den richtigen, der mit dem Glockenzug. Ich mein, es war ja gross wie zwei Häuserblocks, und überall Türen, aber alle zu, Lieferanteneingang auch, war Montag, und die andern hatten frei. Fand ihn dann doch, war schon spät, und so fertig war ich, dass ich mich von der Köchin an den Busen nehmen liess, aber nur, weil ich nicht mehr merkte, wie mir geschah.
Dann kam der Tag. Wenn ich was gewusst hätte, wär ich’s feierlich angegangen. So mit Haare mit Ei und Kleie massieren am Morgen und Zöpfe glänzend flechten und Wangen klopfen, bis sie wie Rotkäppchen. Aber wusste ja nichts von der Initiation, das ist wohl das Geheimnis daran, dass man nicht vorgewarnt ist und sich keinen Schein und keine Blösse geben kann im Voraus. Das war dann nämlich in München, hatte ich bereits die zweite Stadt gemacht in meinem zarten Alter und war stolz, hatte mich mein Chef in einem Hotel untergebracht, weil er was zu erledigen auf dem Weg nach Wien. Ich wusst nicht was tun, hatte Hunger, und da ich schon ein bisschen Mut gefasst von Wien her, ging ich cool raus und such ein Restaurant, wie wenn ich das jeden Tag. Durch die Altstadt, die Münchner Gassen, den Park, mindestens hatte ich mir den Namen des Hotels gemerkt und wo es war, das macht die Erfahrung. In `n Restaurant traute ich mich doch nicht, und das Loch im Bauch wurde immer grösser. War da an `ner Ecke ein Riesenvolksauflauf und einer, der brüllte was von besseren Zeiten und sich zusammenrotten und eine neue Ära für die Arbeiter. Er brüllte und zuckte mit dem Hals wie `n Diktator, den ich im Fernsehen gesehn. He, das war `n wichtiger Staatsmann gewesen, Namen vergessen, der hatte dort seinen ersten Auftritt, und ich schwer beeindruckt, mit dabei an einem historischen Ereignis; ich klein und wichtig mittendrin an einer politischen Versammlung, da war Aufbruch und Erregung in der Luft. Standen zwei jungen Typen, hübsch waren die und Hippies noch dazu. Und die spiegeln sich in meinen Augen und tröpfeln solche Honigworte in einen rein, von denen man mit 16 träumt, so von hübschen Jungs, die dir was zeigen wollen, am besten gleich den Sinn des Lebens wie die hier, ja, sie wüssten, wo ich find, was ich brauch. Ich hatt Hunger und nichts zu tun, und die Jungs waren schmelzend, also ging ich mit, tripptrapp durch schummrige Hintergassen, mit der Zeit wurd’s mir mulmig, denn man soll ja nicht mit Fremden, wir kamen dann doch wo an, `ne Wohnung im dritten, vierten Stock, `n typisches Münchner Haus. Ein Haufen Leut gehn rauf und runter, ein und aus, und alle möglichen Sprachen. Aber meine süssen Hippies verschwanden einfach und überliessen mich einem Kerl mit breitem Bayrisch. Der redete auf mich ein und redete, ich solle offen sein, mich einlassen, ich könne jetzt einen Vortrag hören, der mein Leben verändern würde. Dass meine beiden mich im Stich gelassen hatten, war mir, ging mir nicht runter, es war mir doch um die gegangen. Ich schau auf die Uhr und sag, ich muss jetzt gehn, der Bayer sagt, dann nimm wenigstens ein Buch mit, wo alles für dein Leben drin stehst, du kannst bezahlen, was du willst. Dann zahl ich lieber nicht, sag ich doch glatt, rotzfrech, pack das Buch ein, es war von der Moon-Sekte. Ich also mit dem Buch unterm Arm durch die Gassen Richtung Hotel, kam an einem Zigarettenautomat vorbei, steh davor und denk, in ein Restaurant allein mag ich nicht, war auch müde, war schon spät. Und dann zog ich mein erstes Päckchen Zigaretten, eins, wo die Kleopatra drauf ist, ich glaube Kent, denk, das ist ein gutes Omen. Dann bitt ich den Pförtner im Hotel um Streichhölzchen, geh ins Zimmer und rauch meine erste Zigarette im Leben, vorher war ich immer dagegen gewesen. Jetzt, denk ich, wo ich schon mutterseelenallein hier bin und kein Brief von zuhaus und sich auch niemand für mich interessiert ausser der Moon-Sekte, und Hunger auch noch, dann rauch ich wenigstens. Von da an hatt ich ein Gefühl wie erwachsen, mit den Zigaretten war ich wie zwanzig und selbstbewusst und frech und traute mich allein in jedes Restaurant und bemühte mich, fünf im Tag zu qualmen.