Von meinem Vater, seiner Küche und meinen Sorgen
Wenn meine Eltern Gäste zum Abendessen einluden, sass mein Vater in der Küche. Von
morgens bis abends. Er sass auf einem Hocker und schälte. Vor allem Zwiebeln. Er schälte sie
langsam. Liebevoll. Nicht nur drei oder vier, sondern eine grosse Schüssel voll. Die
geschälten warf er in eine Schüssel mit Wasser. Er summte zu Miriam Makebas Liedern und
weinte. Und ich machte mir Sorgen. Das bemerkte aber niemand.
Mein Vater kochte gut. Sehr gut. Das wusste meine Mutter. Sie schätze es. Und unsere Gäste
wussten das auch. Was aber nur unsere Familie wusste war, dass danach ein gewaltiges
Durcheinander in der Küche herrschte. Um dies etwas zu mindern, ging meine Mutter meinem
Vater zur Hand. Während er sass und schälte. Bis am Nachmittag ging dieses Zusammensein
gut. Dann wurde meine Mutter ungeduldig. Mein Vater sass nämlich noch immer. Aber auch
er wurde ungeduldig. Meine Mutter stand nämlich noch immer um ihn herum. Nach lauten
Worten schickte mein Vater sie aus der Küche. Und ich machte mir Sorgen. Das bemerkte
aber niemand.
Ich klopfte an die Küchentür. Komm, setz dich zu mir, sagt er. Ich fragte ihn, weshalb er so
viele Zwiebeln brauche. «Für die Vorspeise, die Hauptspeise und den Salat.» Ich staunte. «Es
gibt nur Zwiebeln? Wie wird das schmecken?» Mein Vater schmunzelte. «Geh, hilf deiner
Mutter beim Tisch decken.» «Aber ich will dir helfen, damit ich es lerne, und später auch so
gut kochen kann.» «Geh, deine Mutter braucht deine Hilfe.»
Als ich die Küche verliess, blickte ich in das besorgte Gesicht meiner Mutter. Sitzt er noch
immer?, fragte sie mich. Ich nickte.
Gegen Abend kam ein wunderbarer Duft aus der Küche. Meine Mutter atmete erleichtert auf.
Ich schlich in die Küche und sah meinen Vater stehen. Er summte zu Miriam Makebas
Liedern und lächelte. Die Hühnerbeine schickte er mit einer duftenden Sauce in den
Backofen. Der Reis brodelte zufrieden in der Pfanne. Der bunte Salat stand zum Anrichten
bereit. Ich suchte die vielen Zwiebeln. Aber ich fand sie nicht.
Es klingelte und wir assen. Unsere Gäste waren begeistert. Es wurde viel gesprochen. Über
das Land meines Vaters. Und über das Essen. Mein Vater sprach kaum. Er ass langsam.
Manchmal schloss er die Augen beim Kauen. Die Gäste putzen ihre Teller blitzblank auf. Wir
mussten sie trotzdem abwaschen. Meine Mutter räumte nach und nach das Geschirr ab. Mit
besorgtem Gesicht kam sie wieder aus der Küche und suchte den Blick meines Vaters. Und
ich machte mir Sorgen. Das bemerkte aber niemand.
Unsere Gäste waren nach dem Essen etwas träge. Aber noch immer begeistert. «Gib uns das
Rezept», flehten sie meinen Vater an. Mein Vater schmunzelte. Spät abends verabschiedeten
sie sich. Ohne Rezept. In den vielen Jahren bekam niemand ein Rezept.
Als mein Vater in seine Heimat zurückkehrte, begleitete ich ihn zum Flughafen. Wir sassen
uns gegenüber. «Nimm einen Stift», befahl er mir. Er diktierte mir in kurzer Zeit einige
Rezepte. Eilig kritzelte ich sie auf einen Notizblock. Am Schluss sagte er: «Es ist ganz simpel, aber es schmeckt wie im Paradies.» Dann ging er.