Seit Dezember 2010 bieten das Literaturhaus Zürich, der Verein «Writers in Residence» und die Stiftung PWG, mit Unterstützung von Stadt und Kanton Zürich, eine Writers-in-Residence-Wohnung an. Seit Juli ist mit Adania Shibli als 26. Writer in Residence eine der bedeutendsten palästinensischen Autorinnen in Zürich.
Ausgangslage
Die Literaturredaktion des Tages-Anzeigers bat das Literaturhaus Zürich am 11. Oktober 2023 um eine Stellungnahme zum Online-Artikel der «tageszeitung» mit dem Titel «Schatten an der Buchmesse», publiziert am 10.10.2023.
Darin werden schwere Vorwürfe gegen Adania Shibli, aktuelle Writer in Residence, erhoben, und die bevorstehende Preisverleihung für den LiBeraturpreis 2023 an die palästinensische Autorin im Rahmen der Frankfurter Buchmesse kritisiert.
Stellungnahme
Die Auszeichnung hat für Diskussionen gesorgt. Der WDR-Journalist Ulrich Noller hat in diesem Sommer aus Protest gegen die Entscheidung die mitverantwortliche «Weltempfänger»-Jury verlassen. Als Begründung gab er an, der Roman bediene antiisraelische und antisemitische Narrative.
Gestern (10.10.23) kommentierte die deutsche Tageszeitung «taz» die Debatte um die Legitimität des Preises an Adania Shibli. Das Literaturhaus begreift sich als Raum des zugewandten Gesprächs und Ort des gemeinsamen Austauschs. Wir sowie auch die Autorin Adania Shibli sind von den Ereignissen der letzten Tage schockiert, verurteilen jegliche Form der Gewalt und glauben an die Freiheit von Kunst und Literatur.
Das Literaturhaus Zürich betont, dass Adania Shibli als eine international anerkannte und vielfach ausgezeichnete Künstlerin nach Zürich eingeladen wurde, damit sich die Autorin hier auf ihr Schreiben und ihre Kunst konzentrieren kann. Bei der Auswahl achtet das Literaturhaus Zürich auf eine breite Vielfalt der Sprachen, Länder und Regionen.
In ihrem Werk setzt sich Shibli literarisch assoziativ und experimentell mit Themen wie Körperlichkeit, Verstörung, Leerstellen, Verschwinden, Herkunft und Heimat auseinander. In «Eine Nebensache» wendet sich die Autorin erstmals direkt dem Konflikt in ihrer Heimat zu. Der erste Teil des Romans schildert das Schicksal einer jungen Beduinin, die 1949 im Negev von einem Trupp israelischer Soldaten verschleppt, im Camp vergewaltigt und danach erschossen wird. Shibli greift dabei auf eine reale Begebenheit zurück, die aber stark literarisiert und in einer ungewöhnlichen Perspektive dargestellt wird.
Der zweite Teil schildert die im heutigen Israel stattfindende Spurensuche einer Palästinenserin, die durch Zufall auf die damaligen Ereignisse aufmerksam wurde. Insbesondere im ersten Teil weist der Roman manchmal schwer erträgliche Härten auf, gleichzeitig arbeitet er mit Brechungen und Symmetrien, die bei der Lektüre ebenfalls nicht ausser Acht gelassen werden sollten.
Dass Lesende dabei sehr unterschiedliche Blicke auf den Text werfen und zu unterschiedlichen Urteilen kommen werden, was die literarischen Mittel und deren Stellenwert innerhalb von Shiblis Werks betrifft, ist legitim und immanenter Bestandteil der Literaturkritik.
Shibli ist 1974 geboren und lebt und arbeitet in Deutschland und Palästina. Sie hat in Jerusalem, London und Berlin studiert und hat ein PhD in Media and Cultural Studies von der University of East London. Sie hat Kurzgeschichten, Theaterstücke, Essays und drei Romane publiziert, die allesamt ins Englische, Französische und Italienische und über 15 weitere Sprachen übersetzt worden sind.
Beiträge in den Medien
- 12.10.23 Deutschlandfunk: Gespräch mit der Lektorin von «Eine Nebensache»
- 12.10.23 «Die Zeit»: Iris Radisch zur Debatte um Adania Shibli
- 13.10.23 NZZ zur Debatte um Adania Shibli
- 13.10.23 FAZ Preisverleihung an palästinensische Autorin Shibli wird verschoben
- 19.10.23 WOZ Wenn Literatur zur Nebensache wird
- 21.10.23 «Die Zeit» Unbeantwortete, unerwünschte Fragen
Fernab des Alltags
Wechselnde Autor*innen aus aller Welt können sich hier in Ruhe jeweils während eines halben Jahres auf ihr Schreiben konzentrieren.
Die bisherigen Gäste:
- Olli Jalonen (Finnland)
- Kiran Nagarkar (Indien)
- Aslı Erdoğan (Türkei)
- Ángela Pradelli (Argentinien)
- Sreten Ugričić (Serbien)
- Girgis Shoukry (Ägypten)
- Noémi Kiss (Ungarn)
- Teju Cole (USA/Nigeria)
- Tamta Melashvili (Georgien)
- Xiaolu Guo (England/China)
- Tadeusz Dabrowski (Polen)
- Shumona Sinha (Indien/Frankreich)
- Viktor Martinowitsch (Weissrussland),
- Ken Bugul (Senegal),
- Hernán Ronsino (Argentinien)
- Bae Suah (Südkorea)
- Georgi Gospodinov (Bulgarien)
- Aura Xilonen (Mexiko)
- Maaza Mengiste (Äthiopien/USA)
- Christos Chryssopoulos (Griechenland)
- Lana Bastašić (Kroatien)
- Sjón (Island)
- Djaimilia Pereira de Almeida (Portugal/Angola)
- Josephine Rowe (Australien)
- Khaled Khalifa (Syrien)
Kuration 2010-2013: Beatrice Stoll
Kuration 2013-2024 (1. Halbjahr): Gesa Schneider
Projektleitung: Pablo Assandri